Kaum an einem anderen Ort der Welt fällt der Kontrast zwischen der Zeit vor und nach dem Ausbruch der Coronapandemie drastischer aus als an diesem Osterwochenende in Rom. Der Petersplatz wird bereits zum zweiten Mal nur spärlich besucht sein, wenn der Papst den Segen «urbi et orbi» ausspricht. Dort, wo früher Hunderttausende der Ostermesse beiwohnten. Auch die Schweizergarde ist in diesen Zeiten viele weniger im Einsatz. Ihr Kommandant, Oberst Christoph Graf, empfängt mich zum Kaffee in seinem Büro hinter den vatikanischen Mauern, die Romreisende in der Regel nur von der Aussenseite zu Gesicht bekommen.
An den Wänden hängen Ölgemälde seiner Vorgänger. Seit 1506 schützen Schweizer das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Im Jahr 1527 retteten sie sein Leben vor den Plünderern Roms: die offizielle Geburtsstunde der Garde. Die Einschusslöcher sind noch heute in der Mauer draussen unter der päpstlichen Residenz sichtbar. Heute sind die 135 Mann für den Personen- und Objektschutz verantwortlich, abgesehen von den Ehrendiensten bei öffentlichen Anlässen sowie an den Eingängen zum Vatikan.
«Die tägliche Arbeit läuft normal ab, aber wir haben weniger Sonderdienste wie Empfänge, grosse Audienzen, Messfeiern und Papstreisen», erzählt Graf auf die Frage, was sich durch Corona verändert hat. Das Web ist auch für den Heiligen Vater zum Kommunikationskanal geworden. Generalaudienzen finden nur noch via Livestreaming statt. Es gibt keine grossen Papstmessen mehr. Sie finden in kleinem Rahmen statt. Im Petersdom sind sie auf maximal fünfzig Personen beschränkt. Das braucht weniger Personal. «Es ist ungewohnt ruhig für uns.»
Auch die Auslandreisen sind seltener geworden. Die jüngste, in den Irak, gehörte allerdings, was die Sicherheitsfragen betrifft, zu den anspruchsvollsten. Mehrere Gardisten sind zehn Tage zuvor in das Krisengebiet gereist. Sie führten Sicherheitschecks an den Orten durch, wo sich der Papst aufhalten würde. «Die Schweizergarde ist mitverantwortlich, dass bei dem Besuch im Ausland alles nach Protokoll abläuft und dass die Sicherheit stimmt», erklärt der 59-Jährige. Dass diese Vorabüberprüfungen, in Zusammenarbeit mit der Vatikan-Gendarmerie, überhaupt durchgeführt werden konnten, ist Papst Franziskus zu verdanken. Früher waren nur zwei Gardisten als Personenschutz zugelassen. Franziskus hat erlaubt, dass der Begleitschutz aufgestockt wird.
Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass mit dem neuen Papst ein frischer Wind für die traditionsreiche Truppe eingekehrt ist. Graf und die Schweizergarde sind direkt dem Papst unterstellt. «Der Papst kann Einfluss nehmen, wenn er will», erklärt Graf. Franziskus nehme diese Gelegenheit schon wahr, bei Johannes Paul II. und bei Benedikt XVI. habe man das weniger gespürt. So hat er die dringend erforderliche Personalerhöhung um fast ein Viertel auf 135 Gardisten genehmigt. Auch die langjährige Personalie – der Heiratsartikel – wurde dank ihm gelöst.
Zuvor durften nur Korporale heiraten, und es musste eine Wohnung im Vatikan frei sein. Das hatte zur Folge, dass viele fähige Gardisten vorzeitig ausschieden, weil sie geheiratet haben. Graf hat sich mit dem Papst darauf geeinigt, dass nach fünf Dienstjahren und mit einem Mindestalter von 25 Jahren generell geheiratet werden kann. «Mit dieser neuen Regelung ist es nun allen Gardisten erlaubt, zu heiraten, was zuvor den Kaderleuten vorbehalten war», erläutert Graf.
Auch das grösste Zukunftsprojekt ist Franziskus zu verdanken: Er hat den Bau einer neuen Kaserne bewilligt. Sie sei dringend erforderlich. Der aktuelle Bau platze aus allen Nähten und entspreche nicht mehr den heutigen Anforderungen. Es wird eine ökologische, moderne, aber schlichte Kaserne entstehen, entworfen von einem Tessiner Architekturbüro. Die Einweihung ist auf den 500. Jahrestag der Garde am 6. Mai 2027 geplant. Derzeit wird geprüft, wo die Mannschaft während des Abrisses und des Neubaus der Kaserne untergebracht wird. Entweder in einem Provisorium im Vatikan oder in einem gemieteten Bau ausserhalb, aber in der Nähe. Um die Finanzierung der erforderlichen 55 Mio. Fr. kümmert sich ein Stiftungskomitee mit Doris Leuthard und Jean-Pierre Roth an der Spitze. Ein Drittel der Summe soll über private Spenden gesammelt werden.
Graf kam 1987 nach Rom. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Vatikanstadt. Schweizergardisten besitzen die vatikanische Staatsbürgerschaft. Sie erlischt mit dem Ende der Dienstzeit. In den 34 Jahren hat sich manches verändert, vor allem die Sicherheitsstandards und die Grundausbildung wurden im Zuge der Terrorismusdrohungen angepasst, die sich jahrelang direkt gegen den Vatikan richteten. Nur in einem Punkt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: bei der Uniform. Die blau-gelb-rote Montur, die an die Epoche der Renaissance erinnert, ist augenscheinlich nicht zeitgemäss. Warum hält man daran fest? Graf lacht: «Die Uniform kann man nicht ändern. Das würde niemand verstehen.» Natürlich sei sie für den taktischen Einsatz nicht optimal. Es komme daher darauf an, wie man die Leute ausbilden und ausrüsten könne, sodass sie auch mit solch einer Uniform beweglich seien.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen