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«Das erlaubt dem Bischof, mehr Begleiter zu sein»

Nach dem überraschenden Rücktritt von Bischof Valerio Lazzeri ernannte Papst Franziskus Weihbischof Alain de Raemy am 10. Oktober 2022 zum apostolischen Administrator des Bistums Lugano. Die SKZ sprach mit ihm über seine ersten 150 Tage im Amt.

https://drive.google.com/uc?export=view&id=1VAzJhPIXiNFqOD_NUs0REdfto_MdvQBp
Alain de Raemy (Jg. 1959) studierte Philosophie und Theologie in Freiburg i. Ü und wurde 1986 in Freiburg zum Priester geweiht. Nachdem er von 1986 bis 1988 Vikar in der Pfarrei Saint-Pierre in Yverdon und von 1988 bis 1993 Pfarrer in solidum in Lausanne war, setzte er seine theologischen Studien an der Gregoriana und dem Angelicum fort. Von 1995 bis 2006 war er wieder in der Pfarreiseelsorge im Bistum Lausanne- Genf-Freiburg tätig. 2006 wurde er Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde im Vatikan. 2013 ernannte ihn Papst Franziskus zum Weihbischof der Diözese Lausanne-Genf-Freiburg und am 10. Oktober 2022 zum apostolischen Administrator der Diözese Lugano.

SKZ: Bischof Alain, welches sind Ihre stärksten Eindrücke, seit Sie das Amt als Administrator in Lugano angetreten haben?
Alain de Raemy: Ein paradoxaler doppelter Eindruck hat mich geprägt: einerseits die tiefe und grosse Trauer um Bischof Valerio, der mit seinem unerwarteten Rücktritt alle überrascht und etwas verwirrt hat. Es bestand Beruhigungs- und Tröstungsbedarf. Anderseits die rasche und grosse Freude – nach anfänglichen Bedenken –, dass ein vom Papst ernannter bischöflicher Administrator sofort voll und ganz für sie da ist. Ich staune, wie sich die Stimmung zum Positiven wendete.

Wie überraschend kam die Ernennung im Oktober für Sie? Waren Sie in irgendeiner Art vorgewarnt oder mussten Sie ins kalte Wasser springen?
Ich musste effektiv ins kalte Wasser springen! Wie allgemein bekannt und wie oben soeben beschrieben, ist im Tessin das Wasser doch etwas weniger kalt (lacht)!

Wir lesen, dass nur ein Tessiner Priester Bischof von Lugano werden kann. Nun ist das etwa im Bistum St. Gallen auch der Fall. Was ist das Problem?
Im Tessin liegt es wahrscheinlich an der bewegten Geschichte des Kantons. Südlich hat er die Abhängigkeit von Fürsten – auch Kirchenfürsten – aus Mailand und/oder Como lange mehr oder weniger gut erlebt. Nördlich ist er auch von kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Urnern geprägt. Mit dem Beitritt des Tessins in die Eidgenossenschaft im Jahre 1803 wurde der Kanton dem Bistum Basel angesiedelt. Ein Bischof vor Ort konnte deshalb nur apostolischer Administrator sein. Er konnte nicht Bischof von Lugano heissen. Als dann 1969 endlich durch ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Eidgenossenschaft ein ganz unabhängiges Bistum entstand, dachte man durch diese Klausel die eigene Identität wahren und fördern zu können. Heute ist ein beträchtlicher Anteil des Klerus anderer Herkunft, was die Wahl eines Tessiners immer schwieriger macht und oft als unnötige Begrenzung empfunden wird. Die Gefahr einer ausländischen Abhängigkeit ist ja nicht mehr gegeben. Viele ausländische Priester, darunter einige aus den angrenzenden italienischen Gebieten, sind hier aufgewachsen und von Tessinern nicht mehr zu unterscheiden.
Beim Rücktritt von Bischof Valerio war auch von der starken administrativ-ökonomischen Verantwortung des Bischofs die Rede. 

Liegt dies daran, dass es im Tessin keine Kantonalkirchen gibt? 
Ich weiss nicht, ob man sagen kann, dass hier dem Bischof weniger geholfen wird. Es gibt jedenfalls keine kantonale Körperschaft. Dafür regelt ein vom Parlament erlassenes Gesetz die Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Diese Regelung beinhaltet auch einige administrativ-finanzielle Aspekte. Diese entlasten den Bischof etwas. Die Finanzen der Kirche sind einer staatlichen Kontrolle unterstellt und werden demokratisch verwaltet.

Die knappen finanzielle Ressourcen für die pastorale Arbeit kannten Sie sicher schon von der Kirche in Genf. Gibt es trotzdem Unterschiede?
Ja, denn, wie soeben angesprochen, sind im Tessin die Beziehungen zwischen Kirche und Staat offiziell genau geregelt. Dazu kommt, dass einige politische Gemeinden Eigentümer der Pfarrkirche sind. Der Lohn des Pfarrers wird jeweils vom Kirchenrat bestimmt und bezahlt. So entstehen grosse Unterschiede, auf die der Bischof keinen Einfluss hat. In Genf sieht es ziemlich anders aus.

Im Interview mit dem «Corriere» sprachen Sie kürzlich vom Vertrauensverlust, den unsere Kirche auch im Bistum Lugano erlitten hat. Was wäre zu tun?
Die Priester müssen die Laien unbedingt mehr in ihr Amt einbeziehen und sich selbst im Alltagsleben vor Ort mehr zeigen. Der Bischof sollte offener und einfacher kommunizieren, auch im normalen Alltag. Denn im Tessin hat er in der Gesellschaft noch eine gewisse Stellung. In den Medien wird seine Meinung erwartet und eingeholt. Man kann hier von der Kirche ein anderes, unerwartetes Bild geben.

Etwas kritischer zurückgefragt: Der sehr hohe Anteil von Priestern aus anderen Kulturen im Bistum könnte doch auch eine der Ursachen sein?
Ich glaube es nicht. Ich finde sogar, dass hier die Priester aus anderen Kulturen eine grosse und vertrauensvolle Akzeptanz finden. Liegt es an der geografischen Lage des Tessins? Oder ist es die Stellung des Priesters in der Pfarrei, wo keine Laientheologen und -theologinnen mitwirken? Jedenfalls hat es Probleme bei der Integration von Priestern gegeben, die ganz andere kirchliche Gewohnheiten mit sich brachten. Aber ich fühle hier allgemein eine gegenseitige Wertschätzung unter Priestern, so etwas wie eine grundsätzliche Freude am Anderen, trotz aller Schwierigkeiten.

Was kann die Kirche in der Deutschschweiz von jener im Tessin lernen?
Jede Ortskirche kann den anderen einen Mehrwert bringen. Man sagt von grossen Banken «too big to fail». Vom Bistum Lugano könnte man sagen: «too small to fail». Das erlaubt dem Bischof, mehr Begleiter als Manager zu sein. Ich will unbedingt hinzufügen, dass meine Antworten noch sehr frische, erste Eindrücke widerspiegeln, die ich vielleicht bald werde ergänzen oder korrigieren müssen.
Interview: Heinz Angehrn
© 2023 · Schweizerische Kirchenzeitung

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