Die Via Appia ist jetzt Unesco-Weltkulturerbe. Das Meisterwerk der Antike führt über 540 Kilometer von Rom bis nach Brindisi. Eine Wanderung.
Und am anderen Ende wartet Brindisi: Die Via Appia war die wichtigste Strassenverbindung im antiken Rom. Wer ganz früh am Morgen hingeht, hat sie vielleicht sogar ein bisschen für sich allein.
Diese Geschichte lässt sich von zwei Enden her erzählen, ja sogar beschreiten, im wahrsten Sinne des Wortes. Die meisten Menschen lernen die Via Appia in Rom kennen, so wie es mit ihr auch einmal begonnen hat unter dem Zensor und Konsul, dessen Namen sie trägt. Es war das Jahr 312 vor Christus, als Appius Claudius Caecus eine Strasse nach Süden bahnen liess, 195 Kilometer bis Capua, um den Truppen Nachschub zu bringen, die dort gegen das Volk der Samniten kämpften, die am Golf von Neapel siedelten und sich der römischen Herrschaft lange widersetzt hatten.
Später wurde die Via Appia erst ins Inland nach Benevento verlängert, dann durch Apulien bis Tarent gezogen, bis sie 190 vor Christus in Brundisium ankam, dem heutigen Brindisi, Tor nach Osten. Inzwischen war die Macht Roms deutlich gewachsen und Brundisium der bedeutendste Umschlagplatz für Waren und Sklaven aus dem Orient geworden. Und die Strasse, welche die Hafenstadt mit Rom verband, wurde die wichtigste Handelsverbindung des Reichs. 540 gepflasterte Kilometer, über Flüsse und Täler, eine technische und organisatorische Meisterleistung. Regina Viarum, die Königin der Strassen.
Durchschreitet man heute im Süden Roms die Porta San Sebastiano und damit die mächtige Aurelianische Stadtmauer stadtauswärts, ist man bald im Film. Man läuft auf der Originaltrasse der Via Appia, gelegentlich sogar auf dem Originalpflaster. Alles sehr eindrücklich: 4,10 Meter breit und damit gegenverkehrsfähig. Die ersten zehn Kilometer sind eine einzige Erinnerung an die Zeit, als von hier aus ein Drittel der bekannten Welt regiert wurde.
Jetzt ist Italien Unesco-Weltkulturerbe-Rekordhalter
Bald kommen die ersten Zeugnisse der Antike in Sicht, grosse Grabmäler säumen den Weg. Besonders beeindruckend jenes der Cecilia Metella, Schwiegertochter des Cäsar-Mitregenten Marcus Licinius Crassus. An diesem elf Meter hohen Rundbau mit etwa 30 Metern Durchmesser – schon Goethe hatte ihn besucht! – ist auch die längste zusammenhängende Stelle mit den Originalsteinen zu sehen, samt der in Jahrhunderten eingedrückten Verschleissrinnen durch die Pferdewagen. Weiter draussen übernehmen mehr und mehr die Schirmpinien das Bild. Die Zahl der Spaziergänger nimmt ab, und auf der Höhe des Flughafens Ciampino verliert sich die Strasse erst einmal in der Neuzeit.
Sophia Loren 1957 mit Regisseur Henry Hathaway, Produzent Robert Haggiag und Kameramann Jack Cardiff (v.l.n.r.) bei Dreharbeiten zu «Die Stadt der Verlorenen». Übrigens wohnte die Loren auch privat an der Via Appia – wie auch Marcello Mastroianni, Anthony Quinn, Klaus Kinski und Gina Lollobrigida.
Die Via Appia Antica hat jetzt endlich die Würdigung erhalten, die sie längst verdient hat. Das für den Schutz und die Erhaltung historisch, kulturell und ökologisch bedeutender Stätten zuständige Komitee der Unesco hat sie Ende Juli in die Liste der Welterbestätten aufgenommen. Darauf hatte die italienische Regierung jahrelang hingearbeitet, es sollte punktgenau das 60. Weltkulturerbe in Italien werden. Und nebenbei zog Italien damit an China mit 59 Nennungen vorbei. Kein anderes Land hat jetzt so viele Welterbestätten wie Italien.
Mit der Verleihung des Titels verpflichtet sich die Unesco, mitzuhelfen, den ausgezeichneten Ort für künftige Generationen zu erhalten. Die Stätten sollen vor militärischen Konflikten oder Naturkatastrophen geschützt werden, und wenn der zuständige Staat das allein nicht schafft, hilft die Unesco. Das Prozedere ist mittlerweile durchaus umstritten. Die Auszeichnung macht die Stätten automatisch zu einer Attraktion, die Millionen Touristen anlockt, was der Location nicht immer guttut. Bei der Via Appia verfängt das Argument nicht, denn wer kennt sie nicht schon? Hunderttausende gehen jedes Jahr über antiken Boden; auch Römer machen gern einen Ausflug dorthin.
Ein Spaziergang auf der Via Appia ist wie ein Besuch in einem Museum ohne Dach: Man besichtigt antike Überbleibsel und wandelt dabei auf Pflasterstein gewordener Historie.
Aber warum aus Anlass der Ehrung die Strasse nicht einmal vom anderen Ende her erzählen? Auf an die Adria nach Brindisi, sechs Stunden braucht man dafür – mit dem Auto oder dem Zug, das macht keinen grossen Unterschied. Laufen schlägt, zeigt der Blick ins Smartphone, mit sieben Tagen und 21 Stunden zu Buche, rein theoretisch, ohne Pause. Die Römer rechneten 14 Tage für den Weg, und so planen auch Tourismusleute, die das Reisen im historischen Stil anbieten: Sie setzen 29 Etappen in zwei Wochen an.
In Capua wartet der kleine Bruder des Kolosseums
Brindisi also. Nähert man sich der Stadt vom Meer aus, sieht man schon von weitem zwei hoch aufragende Säulen am Pier. Dahinter führt eine breite Treppe vom Wasser hoch zur Altstadt, die Scalinata Virgiliana, die ebenso neueren Datums ist wie die Colonne Romane. In der Stadt selbst ist die alte Strasse überbaut, aber die Streckenführung bekannt.
Die Freitreppe und die Säulen in Brindisi sind jünger als die Via Appia. Aber sie runden sie elegant ab, das muss man zugeben.
Rasch geht es hinaus ins apulische Umland und zwischen Olivenbäumen voran. In Mesagne wird gerade ein Teilstück der Via Appia ausgegraben, in voller Breite und 30 Meter lang, die originale Bepflasterung ist zu erkennen. In Tarent erreicht man wie vor 2000 Jahren die andere, die ionische Meerseite, dann geht es weiter nach Norden. Über die Schlucht von Gravina führt bis heute die alte Römerbrücke. In den Regionen Basilikata und Kampanien muss man sich die alte Via Appia denken, nur gelegentlich gibt es Hinweise. Bei Neapel dann taucht das antike Capua auf, das ursprüngliche erste Ziel der neuen Fernstrasse. Eine bedeutende Stadt, erst neben, dann unter der römischen Herrschaft, mit dem zweitgrössten Amphitheater des Reichs, dem kleinen Bruder des Kolosseums.
Die Brücke über die Schlucht von Gravina in Puglia stammt ebenfalls noch aus der Römerzeit.
Die in Capua geschulten Gladiatoren seien die besten des Reiches gewesen, heisst es, unter ihnen der Thraker Spartakus. Er brach 78 vor Christus mit einigen Getreuen aus, um zwei Jahre lang mit einem auf 200’000 Mann angewachsenen Sklavenheer die römische Armee das Fürchten zu lehren. Nach der finalen Niederlage kreuzigten die Sieger Spartakus’ Gefolgsleute, soweit sie ihrer habhaft wurden, auf beiden Seiten der Via Appia von Capua bis nach Rom – 6000 Kreuze als Mahnung: Niemand lege sich mit Rom an.
Die Ankunft in der Hauptstadt muss grossartig gewesen sein
Die letzten 62 Kilometer verlaufen schnurstracks durch die Pontinische Ebene, so hatten es die Kohortenführer am liebsten. Und dann kann man Rom schon erahnen, sieht die Schirmpinien und kommt wieder an den Gräbern vorbei, Zeit für eine letzte Erzählung. Dort, wo heute die Kapelle Santa Maria in Palmis steht, soll der wiederauferstandene Jesus seinem aus der Stadt flüchtenden Jünger Petrus begegnet sein, so wird es berichtet. «Domine, quo vadis?», soll dieser überrascht gerufen haben: Herr, wohin gehst du?, und jener antwortete: «Venio Romam iterum crucifigi», ich komme nach Rom, um erneut gekreuzigt zu werden. Was wiederum Petrus so beschämte, dass er umkehrte und sich seinerseits kreuzigen liess – an der Stelle, wo das geschehen sein könnte, erhebt sich heute die gewaltige Kuppel des Petersdoms, aber das ist eine andere Geschichte.
Schon kommt die Porta San Sebastiano in Sicht, die in der alten Zeit Porta Appia hiess und das römische Südtor war, ein gewaltiger Bau mit zwei Bögen zwischen zwei Türmen. Man schreitet erneut hindurch, diesmal stadteinwärts, und versucht, sich vorzustellen, wie das damals – sagen wir 250 nach Christus – für jemanden gewesen sein muss, der die grösste Stadt der bekannten Welt nie zuvor gesehen hatte. Diese Orgie in Stein und Marmor, eine unendlich geschäftige Millionenstadt, sechsstöckige Mietshäuser, feierliche Tempel, prunkvolle Paläste. Linker Hand zunächst die Caracalla-Thermen, der gewaltige Bade- und Ruhepalast, öffentlich und erst noch gratis und ein Labsal nach der langen Reise auf der Via Appia. Der Circus Maximus für 250’000 Besucher, das Forum Romanum als Herz der Welt. Jetzt ist man angekommen. Roma, caput mundi.
540 Kilometer langes Unesco-Weltkulturerbe: die Via Appia.
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