Sie sind in Freienbach aufgewachsen, leben aber seit 40 Jahren im Vatikan. Wie kam es dazu?
Nach meiner Banklehre wollte ich die Sprachkenntnisse verbessern und eine weitere Landessprache lernen. Per Zufall fiel mir das Magazin des kaufmännischen Verbandes mit dem Titel «Italienisch lernen im Dienste des Paps-tes » in die Hände. Sofort wusste ich, dass das etwas für mich ist.
Waren Sie schon immer ein gläubiger Mensch?
Ich bin in einer praktizierenden Familie aufgewachsen, wo gebetet wurde und man am Sonntag zur Heiligen Messe ging. Es gab aber nie einen Druck vonseiten der Familie.
Waren Sie vor Ihrem Dienst in der Schweizer Garde bereits einmal in Rom?
Als ich 20 war, reiste man noch nicht wie heute, und so war ich vorher noch nicht in Rom. Die Weltstadt zog mich natürlich auch an.
Wie war das für Sie, von einem kleinen Dorf in der Schweiz in die Hauptstadt Italiens umzuziehen?
Alles war gross und überwältigend. Kultur, Kunst, Kulinarik und auch die Zelebration des Glaubens hatten eine andere Dimension.
Sie waren nicht nur «normaler» Schweizer Gardist, sondern später auch Bodyguard des Papstes. Wie sieht Ihre Karriere im Vatikan aus?
Ich trat als Hellebardier (Soldat) in die Garde ein und wurde dann Vize-Korporal, Korporal, Wachtmeister und Offizier im Grade eines Hauptmanns. Während circa sieben Jahren war ich auch Sekretär des Kommandanten.
Sie sind verheiratet und waren über 30 Jahre lang Gardist. Dass man als Gardist ledig sein muss und dieses Amt nur zwei Jahre lang ausübt, stimmt also nicht?
Circa 80% der Gardisten kehren nach der obligatorischen Dienstzeit von 26 Monaten in die Schweiz zurück, um da ihre berufliche Karriere weiterzuverfolgen. Der Rest bleibt länger im Vatikan und garantiert so die Kontinuität der Garde. Ab dem fünften Dienstjahr kann man heiraten. Das Arbeitsverhältnis geht, sofern der Gardist die Bedingungen erfüllt, nach 26 Monaten stillschweigend weiter.
Als Tourist sieht man die Gardisten, die vor dem Vatikan stehen. Ihre eigentliche Arbeit sah aber ganz anders aus?
Die Touristen sehen die Gardisten an den Eingängen zum Vatikan, wo sie für die Eingangskontrolle verantwortlich sind. Im Fernsehen sieht man die Gardisten vor allem bei Ehrendiensten wie beim Oster- und Weihnachtssegen. Der Ehrendienst macht circa 30 Prozent, der Sicherheits- und Wachtdienst 70 % aus. Der Sicherheits- und Wachtdienst findet hauptsächlich im Innern des Vatikans statt, wo der Papst wohnt und lebt. Hauptauftrag der Garde ist die Sicherheit des Papstes im Vatikan und auf seinen Reisen.
Als Bodyguard des Papstes reis-ten Sie viel in der Welt herum. An welche Reise können Sie sich am besten erinnern und warum?
Unter anderem sind mir die folgenden gut in Erinnerung geblieben: meine erste Reise mit dem Heiligen Papst Johannes Paul II im Heiligen Jahr 2000 ins Heilige Land. Es war ein grosser Wunsch des Papstes, das Heilige Land zu besuchen, und es brauchte viel diplomatische Vorarbeit für die Reise. Mit Papst Benedikt machte ich die längste Reise, welche uns zum Weltjugendtag nach Sydney führte. Meine letzte Reise war 2015 mit Papst Franziskus nach Kuba und dann in die USA nach Washington, New York und Philadelphia.
Sie dienten drei Päpsten: Johannes Paul II, Benedikt XVI, Franziskus. Wie waren denn die Oberhäupter der Kirche als Menschen?
Jeder war auf seine Weise speziell. Beim Heiligen Papst Johannes Paul II spürte man schon zu Lebzeiten sein spezielles Charisma und seine spirituelle Ausstrahlung. Vielleicht war es auch mein junges Alter, welches mir diese Person so vorbildlich, väterlich und aussergewöhnlich erschienen liess. Papst Benedikt XVI war eine feinfühlige, hochintelligente, einfache und zugängliche Persönlichkeit. Er hatte etwas Mühe mit den grossen Massen, da nicht er im Zentrum stehen wollte, sondern die Teilnehmer immer auf Jesus Christus verweisen wollte. Er war auch nicht scheu, wie es manchmal geschrieben wurde, sondern hatte so-fort und gerne Kontakt mit den Leuten, aber eher im kleineren Rahmen. Mit Papst Franziskus kam ein totaler Schnitt in die Papstgeschichte. Auch er war zugänglich und angenehm, jedoch temperamentvoll und brach so mit verschiedenen Protokollen, was zum Teil richtig war und zum Teil auch einigen Personen Bauchweh bereitete.
Sie sind seit 2017 nicht mehr Gardist. Warum haben Sie Ihren Job nach so vielen Jahren an den Nagel gehängt?
Ich bin mit 20 in die Garde eingetreten und habe mir immer gesagt, dass ich in meinem Leben auch noch andere Erfahrungen machen möchte, obwohl es mir bis zum Ende gut gefallen hat. Als Zeithorizont habe ich mir immer die 50 Jahre als Limite gesetzt, da es zu diesem Zeitpunkt noch möglich war, etwas Neues anzufangen, und der Weggang vom Vatikan für meine Familie nicht zu traumatisch war.
Gab es zwischendurch Zweifel, ob das der richtige Job ist?
Nein, der Dienst für Papst und Kirche und die Zusammenarbeit mit motivierten jungen Schweizern, die ich bei einer interessanten Lebenserfahrung begleiten durfte, hat mich stets erfüllt. Der Vatikan ist der Hauptsitz der wohl grössten «multinationalen» Gesellschaft. Nicht Gewinnmaximierung steht im Vordergrund, sondern die Verbreitung des Evangeliums und die Nächstenliebe. Ich durfte während meiner Reisen miterleben, was die Kirche auf der ganzen Welt im sozialen, gesundheitlichen und Bildungsbereich leistet. Wo aber viel Macht und Geld zusammenkommt, da kann der Mensch auch schwach werden, und es geschehen Skandale. Natürlich wird auch der Vatikan von Skandalen nicht verschont, doch machen diese immer mehr Schlagzeilen als das Gute, das von dieser Institution ausgeht.
Hat sich Ihre Ansicht bezüglich Skandalen verändert, seit Sie nicht mehr Gardist sind?
Nein, es wird auch weiterhin Skandale im Vatikan und in der Kirche geben. Es ist wichtig, dass diese angegangen und aufgearbeitet werden. Die Kirche hat eine Vorbildfunktion und muss sich dementsprechend verhalten, sonst ist sie nicht glaubwürdig.
Als Gardist verdient man 1300 Euro monatlich. Wie kommt man da über die Runden?
Es sind heute circa 1500 Euro, ein italienischer Durchschnittslohn. Wenn man bedenkt, dass ein Gardist daneben fast keine Auslagen hat, ist es für Italien ganz anständig. Es soll niemand wegen des Geldes in die Garde gehen.
Wenn Sie auf die 30 Jahre als Gardist zurückblicken, welches war der emotionalste Moment?
Der Tod von Papst Johannes Paul II gehört sicher zu diesen Momenten. Auch verschiedene Papstreisen in Drittweltländer, wo man hautnah erleben durfte, welch grosse Hoffnung der Papst und die Kirche in diese Gebiete bringt. Natürlich habe ich auch die Tragödie um den Fall von Kommandant Estermann miterlebt, was man nicht mehr vergisst. Hier kann ich nur hinzufügen, dass leider sehr viele Unwahrheiten und Spekulationen verbreitet wurden. In diesem Fall haben der Vatikan und die Garde keine Leiche im Keller.
Gab es auch gefährliche Situationen?
Die gab es auch, diese waren aber sehr selten. Meistens handelte es sich um Fanatiker, die den Papst treffen wollten, ohne böse Absichten.
Wie hat sich Ihre Arbeit in den 30 Jahren verändert?
Die Arbeit ist die gleiche geblieben, die technischen Hilfsmittel haben sich stark verändert. Es ist aber wich-tig, dass hinter jedem technischen Hilfsmittel ein motivierter Mitarbeiter steht. Vor allem haben sich aber die weltweite Sicherheitslage und die damit verbundenen Sicherheitskontrollen stark geändert.
Blieb nebst der Arbeit Zeit für Hobbys?
Natürlich bleibt auch Zeit für Familie und Hobbys. Italien ist ein wunderbares Land, Rom ist die schönste Stadt der Welt, das Meer und die Berge sind in der Nähe.
Was gefällt Ihnen an Rom besonders gut?
Alles! Rom ist eine einmalige Stadt, geschichtlich, religiös, kulturell und kulinarisch.
Und was weniger?
Eine Grossstadt hat auch ihre Tücken: Verkehr, Abfall, Übertourismus etc.
Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Ich habe eine kleine Reiseagentur, Romaplus GmbH, und helfe Gruppen aus der Schweiz bei der Organisation ihrer Romreise. Daneben habe ich für die Schweizer Schuhfirma Kybun / Joya einen Laden in der Altstadt eröffnet. Hier mache ich vor allem die Verwaltung.
Was verbindet Sie heute noch mit Freienbach?
Ein Grossteil meiner Familie lebt noch in der Gemeinde und meistens bin ich im Sommer und im Winter einige Tage in Wilen.
Denken Sie, Sie wären in der Bankenbranche geblieben, wenn Sie als 20-Jähriger nicht nach Rom gegangen wären?
Vermutlich nicht. Die Bankausbildung hat mir gefallen. Ich wusste aber nicht recht, in welche Richtung ich mich spezialisieren wollte. Zahlen alleine hätten mich vermutlich nicht befriedigt. Ich brauchte etwas mehr Menschbezogenes. In Rom hat sich dann auch das religiöse Interesse verstärkt, was eventuell in der Schweiz etwas verkümmert wäre.
Würden Sie anderen jungen Männern einen Beitritt in die Schweizer Garde empfehlen?
Absolut! Eine einmalige Lebenserfahrung, weg von Zuhause in einem anderen Kulturkreis. Aber es braucht auch die richtige Voraussetzung, das heisst, die Motivation, dem Papst und der Kirche dienen zu wollen.
Sie sind mittlerweile 60 Jahre alt. Planen Sie, Ihren Lebensabend in Rom zu verbringen?
Ich hoffe, dass ich weiterhin hier in Rom leben darf. Doch da meine Kinder zurück in die Schweiz gezogen sind und sich dort ihre berufliche Karriere aufbauen, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir in Zukunft etwas mehr Zeit in der Schweiz verbringen werden.
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