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Glaube, Reflexion und Pflicht: Einblicke vom Kaplan der Schweizergarde

 

Interview mit Pater Kolumban Reichlin OSB, dem Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde

Pater Kolumban Reichlin

Ihr Auftrag ist klar, ihre Uniform legendär. Seit über 500 Jahren beschützt die Schweizergarde das Leben des Papstes im Vatikan. Jedes Jahr am 6. Mai werden traditionell die neuen Rekruten in die kleinste Armee der Welt aufgenommen.

Seit zwei Jahren ist Pater Kolumban Reichlin OSB der Kaplan der Schweizergarde. Mit EWTN News sprach der Benediktinermönch über seinen Dienst als Seelenwächter der päpstlichen Leibwache (CNA Deutsch ist ein Service von EWTN News).

Wir sitzen hier in der Kapelle der Schweizergarde. Was macht diesen Ort so besonders?

Es ist der Ort, an dem wir die Eucharistie feiern. Die Sakramente gehören ganz wesentlich zum christlichen Glauben dazu und deshalb ist dieser Ort für uns als Päpstliche Schweizergarde ein wichtiger Ort. Es ist auch ein historischer Ort, denn die Kapelle stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie wurde nicht zufällig hier gebaut, sondern weil der Vorhof zur Kapelle damals auch das Quartier der Päpstlichen Schweizergarde war. Der Papst hat damals den Gardisten in ihr Quartier hinein diese Kapelle gebaut.

Gibt es hier feste Gebetszeiten?

Es gibt verschiedene liturgische Feiern, die fix sind im Laufe der Woche. Wir haben jeden Tag Eucharistiefeier am Morgen und teilweise am Abend. Dann gibt es auch wöchentlich zwei Eucharistische Anbetungen am Samstagnachmittag und am Donnerstagabend. Jeden Montagabend gibt es hier auch das Rosenkranzgebet. Das sind unsere wöchentlichen liturgischen Feiern, zu deren Teilnahme die Gardisten eingeladen sind.

Sie sagen „eingeladen“ – oder sind die Gardisten dazu verpflichtet?

(lacht) Nein, das waren sie früher mal, sind sie aber heute nicht mehr. Die Gardisten sind selbst gefordert. Die Gardisten sind junge, erwachsene Menschen, die sich auch die Frage stellen müssen: Was bedeutet mir das, was ich hier mache? Stehe ich am Sonntag auf, werfe ich mich in Schale, gehe ich in die Messe? Das kann auch eine Herausforderung sein, falls man aus einer Familie kommt, in der man es gewohnt war, gemeinsam in die Messe zu gehen. Und plötzlich steht man in einem ganz andern Kontext, ist selbstverantwortlich und muss sich neu und bewusster für die Glaubenspraxis entscheiden.

Wie wird man eigentlich Kaplan der Schweizergarde? Kann man sich dafür bewerben?

Nein, das kann man nicht (lacht). Der Nuntius in der Schweiz ist dafür zuständig. Wenn der Kaplan in die Schweiz zurückkehrt, ist es die Aufgabe des Nuntius, eine Liste mit Kandidaten zuhanden des Staatssekretariats im Vatikan zusammenzustellen.

Wie sind Sie auf dieser Liste gelandet?

Der Nuntius hat mich im Sommer 2021 angerufen und gefragt, ob ich bereit sei, meinen Namen auf diese Liste setzen zu lassen, was mich sehr überrascht hat.

Hatten Sie eine besondere Verbindung zur Schweizergarde?

Ich habe früher auf dem Gymnasium mal eine Schularbeit über die Schweizergarde geschrieben. Ich hatte auch mal die Idee, selber Gardist zu werden, der damalige Vize-Kommandant hatte mich sogar eingeladen. Aber ich hatte damals ein Berufungserlebnis und für mich wurde klar, dass ich nach dem Abitur ins Kloster eintreten möchte. Deshalb wollte ich keinen zweijährigen Umweg machen, sondern direkt meine geistliche Berufung leben. Ich hätte nie gedacht, dass mein Weg mich am Ende doch noch in die Garde führt über den Dienst als Kaplan.

Warum haben Sie die Aufgabe angenommen?

Ich war zuerst skeptisch. Ich habe nicht wirklich gewusst, worin die Aufgaben des Kaplans bestehen. Bin ich dem gewachsen, kann ich dem gerecht werden, welche Fähigkeiten sind gefordert? Ich habe mich auch mit meinem Abt ausführlich unterhalten, denn er muss ja auch einverstanden sein. Der Abt hat mich aber sehr ermutigt. Er hat gesagt, es ist ein Privileg, wenn wir mit diesen jungen Menschen arbeiten dürfen.

Haben Sie vor Dienstantritt irgendwelche Ratschläge bekommen?

Wichtig war für mich das Gespräch mit einem meiner Vorgänger, dem früheren Gardekaplan Alain de Raemy, der heute Diözesanadministrator in Tessin ist. Ich habe ihn kennengelernt, als ich in Fribourg Geschichte studiert habe. Es war ein sehr erhellendes Gespräch mit ihm. Er konnte mir aufzeigen, dass dies für die Kirche in der Schweiz ein kostbarer Dienst ist, weil viele der jungen Menschen, die Gardisten werden, eine intensive Glaubenspraxis mitbringen und eine große Loyalität haben zur Institution der Kirche, zum Heiligen Vater und natürlich auch viel Zeit haben, während des Wachdienstes über Fragen des Lebens und Glaubens zu reflektieren.

Wie können Sie den jungen Männern denn dabei helfen?

Ich kann versuchen, sie zu inspirieren: im Gottesdienst, in der Weiterbildung und so weiter. Dadurch bekommen sie Gedanken und Hinweise, die sie dann in langen Nachtschichten vertiefen können, Fragen, denen sie nachgehen können. Man kann sagen, dass im Schnitt pro Jahr etwa ein Mann, der zurückkehrt, einen geistlichen Weg wählt, also danach Theologie studieren will oder sogar ins Kloster geht. Das ist erfreulich.

Wurden Sie auf Ihren Dienst als Gardekaplan irgendwie vorbereitet?

Nein, das ist learning by doing (lacht).

Sie sagen, dass Sie die Gardisten begleiten, Sie mit Gedanken füttern, über die diese dann in ihren vielen Nachtschichten nachdenken. Das ist eine große Verantwortung, die Sie haben. Raubt Ihnen das manchmal auch den Schlaf?

Nein, den Weg muss ja jeder selber gehen. Ich sehe mich mehr als Hebamme. Ich glaube, der Kaplan kann ein Inspirator sein, der die jungen Menschen anregt, motiviert, damit sie auf dem Weg bleiben, damit sie Fragen stellen, damit sie mit Neugier durchs Leben gehen. Und ich möchte ihnen helfen, wenn Fragen auftauchen oder sie mit Krisen konfrontiert sind.

Was sind das so für Fragen oder Probleme, die einem Gardisten im Alltag begegnen?

Es sind die grundsätzlichen Fragen, die jeden jungen Menschen umtreiben.

Zum Beispiel?

Es sind zum Beispiel Beziehungsfragen. In diesem Alter machen sie vielleicht zum ersten Mal die Erfahrung, dass sie eine Fernbeziehung führen müssen. Er selber ist hier in der Garde, die Freundin ist in der Schweiz, und das ist schwierig. Bisweilen zerbricht dann eine solche Fernbeziehung, weil es sehr anspruchsvoll ist. Immer wieder Thema ist auch die Frage nach der eigenen Berufung. Sie kommen dann bei mir vorbei und wollen mal hören: Wie sehen Sie das? Sie stellen mir dann ihre Überlegungen vor und wollen eine weitere Meinung dazu hören. Auch ein Thema, das immer wieder aufkommt, sind Todesfälle. Mit Anfang 20 werden diese jungen Menschen oft erstmals mit dem Tod konfrontiert, etwa wenn ihre Großeltern sterben. Das bewegt und beschäftigt sie, weshalb sie das Gespräch suchen oder um das Gebet bitten.

Wenn ein Gardist mit Liebeskummer zu Ihnen kommt, wie können Sie ihm helfen?

Ich kann ihnen dann sagen, dass das zum Leben dazu gehört (lacht). Ich kann ihnen sagen, dass man auch solche Erfahrungen sammeln muss, dass Krisen dazu gehören, dass es nicht das Ende der Welt ist, auch wenn natürlich eine Welt zusammenbricht, und dass man etwas daraus lernen kann und soll. Ich kann ihnen solche Erfahrungen nicht abnehmen, aber ich kann sie dabei unterstützen und ermutigen.

Inwiefern?

Es ist gut, über solche Erfahrungen zu sprechen. Man muss sich dafür Zeit nehmen, man darf diese Erfahrungen nicht verdrängen. Ich kann ihnen dabei helfen, diese Krisen zu nutzen, um daran zu wachsen und um Lebenserfahrung zu sammeln.

Sie sprechen mit den Gardisten viel über den Glauben. Ich kann mir vorstellen, dass es in der Kaserne wahrscheinlich nicht viel anders ist als anderswo in der Kirche, dass auch hier unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen. Wie gehen Sie mit dieser Aufgabe um, auch Brückenbauer zu sein zwischen den verschiedenen theologischen und spirituellen Ausrichtungen und Überzeugungen, die es innerhalb der Kirche gibt und die immer wieder für Konflikte sorgen?

Das gibt es bei uns natürlich auch. Es gibt diese unterschiedlichen Empfindsamkeiten. Jeder hat einen anderen Zugang zur Institution Kirche, zur Glaubenspraxis. Aber alle haben diese Grundloyalität, die sie mitbringen, sonst würden sie diesen Dienst in der Garde nicht leisten. Ich glaube, diese Unterschiede dürfen auch sein. Der junge Mensch ist religiös geprägt von seinem familiären Umfeld. Und es ist nicht meine Aufgabe, daran etwas zu verändern. Man kann natürlich Fragen stellen, um das Wachsen und die Entwicklung im Glauben zu fördern. Insgesamt aber sind wir alle Suchende und Fragende. Wenn man ein bisschen älter ist, denkt man manchmal, man ist im Besitz der gesamten Lebens- und Glaubenserfahrung. Aber vor Gott, vor dem Gottesgeheimnis, sind wir alle Anfänger. Wir sind Lernende bis an unser Lebensende. Das lehrt uns auch Bescheidenheit. Wenn man das respektiert und für sich selber akzeptiert, dann kann man das auch beim jungen Menschen ganz anders sehen und anders respektieren und im guten Sinn auch fördern.

Da raucht es bestimmt auch mal, da gibt es bestimmt auch mal heiße Diskussionen untereinander …

Es fallen keine Späne (lacht).

Was gibt denn der oberste Dienstherr der Gardisten, Papst Franziskus, „seinen“ Soldaten mit auf dem Weg?

Papst Franziskus sagt häufig: „Avanti, Avanti! Lasst uns vorangehen!“ Ich glaube, dem Papst ist es wichtig, dass wir im Leben, in unserer Entwicklung nicht stehen bleiben. Es gibt an diesem Ort so viele Möglichkeiten, auf verschiedenen Ebenen Erfahrungen zu sammeln in Bezug auf Kultur, auf das spirituelle Leben. Es ist ein Gnadenort, es ist das Zentrum einer Weltkirche. Alleine schon diese vielen Begegnungen: Wo kann man innerhalb von fünf Minuten einer Persönlichkeit wie Papst Franziskus begegnen und dann wieder einem Bettler, der auf der Straße liegt? Das macht etwas mit diesen jungen Menschen. Sie fragen sich: Wie muss ich damit umgehen? Was bedeutet das für mich?

Also hilft so eine Laufbahn bei der Schweizergarde, auch im Glauben zu wachsen?

Ich glaube, man muss realistisch sein. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, aber wenn man realisiert, was es heißt, im Glauben und in der Liebesfähigkeit zu wachsen, dann sind zwei Jahre auch wieder eine sehr kurze Zeit. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben. Ich glaube, wenn der junge Mensch hier während der zwei Jahre in Bezug auf Religion und Glaube eine gute, authentische Erfahrung macht und spürt, dass er wertgeschätzt wird in seiner Art, so wie er ist, in seinem Dienst, den er leistet, dann wird ihn das prägen. Wie ein junger Mensch aus einer Familie herauswächst, wo er sich behütet fühlt, wo er sich ernst genommen fühlt, dann wird er immer zu dieser Familie zurückkehren.

Eine große Herausforderung für Sie, oder nicht?

Das Einzige, was ich tun kann, ist zu versuchen, authentisch zu sein. Liebe braucht Wertschätzung, nicht Druck und Zwang. Das wäre nicht nachhaltig. Religiosität, die auf Druck aufbaut, zerfällt wie ein Kartenhaus, wenn Krisen aufkommen. Es ist wichtig, dass diese jungen Menschen die Freiwilligkeit der Liebe realisieren und leben lernen, dass sie verantwortungsvoll leben auch ohne äußeren Druck. Das ist mir ein Anliegen – uns auf eine offene, weite wie auch tiefgründige Art und Weise den Fragen des Lebens und des Glaubens zu stellen.

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